Fred again..
Alles begann mit Carlos, ein Bauarbeiter, den Fred nach einem Konzert in Atlanta kennenlernte. Es war eine dieser Zufallsbegegnungen, die man schwer beschreiben kann, wenn man nicht dabei war. Freds Videoclips von dem Abend erledigen einen Teil der Arbeit; Carlos' Stimme - die im fröhlichen Südstaaten-Slang verkündet: "I want you to see me, friend! We gon' make it through" -...
Alles begann mit Carlos, ein Bauarbeiter, den Fred nach einem Konzert in Atlanta kennenlernte. Es war eine dieser Zufallsbegegnungen, die man schwer beschreiben kann, wenn man nicht dabei war. Freds Videoclips von dem Abend erledigen einen Teil der Arbeit; Carlos' Stimme - die im fröhlichen Südstaaten-Slang verkündet: "I want you to see me, friend! We gon' make it through" - besorgt den Rest. Nun zieht sich Carlos als Motiv durch Freds Musik. "Er war im Grunde bereits ein Song", sagt Fred, besser bekannt als der Londoner Produzent Fred again.., "ich musste nur noch Akkorde dazu spielen."
Es war der Beginn von Freds Verfahren, flüchtige Gesprächsfetzen in Musik zu überführen. Er erstellte eine Art Tagebuch. Dieses Tagebuch wuchs mit der Zeit, indem der 27-Jährige Clips von nächtlichen Ausflügen sammelte, Sprachmemos speicherte und die sozialen Medien durchkämmte - immer auf der Suche nach musikalischen Momenten in den flüchtigen Momenten des täglichen Lebens.
Anfänglich hatte Fred ein schreckliches Gefühl dabei, sich bei der Kunst anderer zu bedienen - ein Gedicht etwa, das die Grundlage für den schummrigen Club-Stampfer "Kyle (I Found You)" bildet oder der eindringliche Monolog über das Leben mit Depression zu Beginn von "Sabrina (I Am A Party)". Denn war dies nicht das Gegenteil einer einvernehmlichen Zusammenarbeit? Allmählich machte er jedoch seinen Frieden damit, bestärkt durch überwältigende Unterstützung und Dankbarkeit, die er immer dann erfuhr, wenn er seine Songs jenen Leuten zeigte, deren Arbeit er interpoliert hatte. So oder so veröffentlicht er nichts ohne ihre ausdrückliche Zustimmung.
"Actual Life" bietet einen Blick auf die Welt, wie Fred sie sieht - oder besser gesagt: wie er sie hört - und die Menschen, die sie um ihn herum zum Leben erwecken. Er schreibt nicht über Erfahrungen, er nimmt Erfahrungen und verwandelt sie in Songs.
Fred ist ein unglaublich geselliger Mensch, er lacht viel und ist überzeugter Optimist. Dieses gebündelte Charisma hat er in den vergangenen Jahren in seine Arbeiten mit so unterschiedlichen Künstlern wie FKA Twigs, Stefflon Don, BTS, Jayda G, Romy und Burna Boy eingebracht. Es half dabei, den britischen Drill-Rapper Headie One auf ihrem gemeinsamen Mixtape GANG aus seiner Komfortzone zu locken, mit verblüffenden Resultaten. Ganz nebenbei ist er bei all dem auch extrem erfolgreich: 2019 verbrachte er 15 Wochen (knapp 30%) des Jahres auf Platz 1 der britischen Charts.
Fred sagt, dass er nicht an Talent glaubt. Er hat viel darüber nachgedacht, wie er anfügt. Vielleicht hat er recht. Vielleicht hat die Tatsache, dass er tagtäglich von so vielen außerordentlich talentierten Musikern umgeben ist (und mehr als ein Jahrzehnt lang von Brian Eno als Mentor betreut wurde), seine Sichtweise gefärbt. Fest steht, dass dieser Glaube ihn blind für sein einzigartiges Talent gemacht hat, die Musik in flüchtigen Momenten zu sehen - und seine Fähigkeit, die Emotionen dieser Momente so lebendig in eigenen Noten einzufangen. Er schreibt Popmusik in ihrer reinsten Form: Songs, die von jedem handeln könnten, dabei aber jedem etwas bedeuten können.
Bald jedoch sollte sein eigenes spontanes, versponnenes Soloprojekt "Actual Life" eine tiefere, zutiefst persönliche Bedeutung erlangen. Fred hatte bereits seit einer Weile Sounds gesammelt und daraus Songs produziert, ohne damit ein wirkliches Ziel zu verfolgen - er tat es schlicht, weil er mit seiner neuen Arbeitsweise experimentieren und Musik machen wollte, in die er seine alltägliche Freude und Liebe einfließen ließ. Dann jedoch wurde ein enger Freund ernsthaft krank, was seinem Projekt nicht nur einen neuen Fokus verlieh, sondern auf tragische und unerwartete Weise auch ein Enddatum. Verlust und Schmerz sind ein Teil des Lebens, also wurden auch sie ein Teil von "Actual Life".
Freds Texte leben von der Spannung zwischen Euphorie und der Sorge, dass es eines Tages zu Ende gehen könnte. Selbst Songs, die entstanden, bevor sich der Gesundheitszustand seines Freundes dramatisch verschlechterte, nahmen durch das Prisma ihrer gemeinsamen Erfahrung eine neue Form an. Stürmische Klavierakkorde, satte Synthesizer und treibende Bass Drums überhöhen eine darunterliegende Trauer. Ein Track des Albums, "Me (Heavy)", besteht einzig aus Freds Stimme. Er spielt in der erstickenden Umgebung einer Krankenhaus-Intensivstation und sticht als der raueste, verletzlichste Moment aus dem Werk heraus.
Wenn Fred spricht, hält er oft mitten im Gespräch inne, um einige Noten zu singen oder einen zweistimmigen Akkord Riff auf dem Klavier zu klimpern und damit das Gesagte zu unterstreichen oder zu betonen. Für ihn ist Musik ein Ausdruck seiner Emotionen und hilft, Lücken im Gesagten zu füllen. "Actual Life" ist Freds eigene Reise durch Freude und Trauer. Doch seine Songs - die sich um Tanz, Sehnsucht, nachklingende Berührungen drehen - vermitteln etwas, das wir alle fühlen. Etwas, das uns wissen lässt: wir sind nicht allein.