Shooter Jennings
Seit fast zwei Jahrzehnten trotzt Shooter Jennings sämtlichen Erwartungen und weitet dabei die Grenzen von Country und Rock’n’Roll immer ein wenig mehr aus. Der Spross amerikanischen Musik-Adels – er ist der Sohn der Country-Legenden Waylon Jennings und Jessi Colter – hat sich längst seinen eigenen Platz in zukünftigen Heldensagen gesichert, als wahrhaft grenzenloser Künstler, dessen anspruchsvoller Experimentiergeist eine Unmenge von...
Seit fast zwei Jahrzehnten trotzt Shooter Jennings sämtlichen Erwartungen und weitet dabei die Grenzen von Country und Rock’n’Roll immer ein wenig mehr aus. Der Spross amerikanischen Musik-Adels – er ist der Sohn der Country-Legenden Waylon Jennings und Jessi Colter – hat sich längst seinen eigenen Platz in zukünftigen Heldensagen gesichert, als wahrhaft grenzenloser Künstler, dessen anspruchsvoller Experimentiergeist eine Unmenge von Genres und kreativen Plattformen umspannt, von der Veröffentlichung von sieben Solo-LPs und zahllosen EPs über die Gründung seines eigenen Labels und Multimedia-Kanals Black Country Rock und die Moderation seiner Sendung „Shooter Jennings’ Electric Rodeo” bei Sirius XMs „Outlaw Country“-Kanal bis hin zum Produzieren der Musik von Jamey Johnson, Wanda Jackson und seiner Mutter Jessi Colter sowie der Erfindung des hoch gelobten BBS Door Games (erhältlich über BCRGames.com).
Stets der Outlaw, hat Jennings nun sein womöglich einzigartigstes Werk erschaffen, „SHOOTER“. Produziert im berühmten RCA Studio A in Nashvilles Music Row von seinem langjährigen Freund und Wegbegleiter, Low Country Sound-Gründer Dave Cobb, setzte sich Jennings für das Album ein unmissverständliches Ziel: schlicht ein großartiges Country-Album aufzunehmen. Es sollte an dieser Stelle angemerkt werden, dass Jennings letztes Album ein visionärer Tribut an Giorgio Moroder war. Nun ein schnörkelloses Country-Album zu machen, stellte somit eine weitere jener brillant unvorhersehbaren Kehrtwendungen dar, die seine bisherige Karriere prägten. Mit Songs wie „Fast Horses & Good Hideouts” oder dem rauen „I’m Wild & My Woman Is Crazy” unterstreicht Jennings jedoch seine Mission, indem er zum ursprünglichen, oft falsch verstandenen Auftrag des Country zurückkehrt: Songs über das Aufwachsen und Älterwerden zu singen, darüber, auszugehen und sich volllaufen zu lassen. Kurz gesagt, Musik für echte Menschen mit einem echten Leben zu machen. Mit „SHOOTER“ drückt Jennings der Country-Musik seinen eigenen Stempel auf und wird seinem besonderen Geburtsrecht mit beispielloser Leidenschaft, Expertise und Herz gerecht.
„Ich denke, das ist der Grund, weshalb ich solch einen starken Drang verspürte, es jetzt zu machen“, sagt er. „Dieses Album ist fast eine Rückbesinnung für mich. Ich wollte etwas machen, das geradeheraus und simpel ist. Es war fast wie die Neu-Kalibrierung einer Schusswaffe. Gelegentlich realisierst du, dass du wild durch die Gegend schießt, also musst du innehalten und neu kalibrieren“.
Jennings’ Beziehung zum Grammy-ausgezeichneten Cobb reicht zurück bis ins Jahr 2005 und seinen ersten drei Solo-LPs, eine bahnbrechende Reihe von Alben, in denen sie gemeinsam versuchten, „die Grenzen dessen zu verschieben, was auf einem Country-Album möglich ist“, indem sie elektronische Elemente, psychedelische Gitarren und Shooters äußerst zeitgemäße Sichtwiesen einfließen ließen. „SHOOTER“ – das ihre erste Album-Zusammenarbeit seit dem psychedelischen Metal-Konzeptalbum „Black Ribbons“ 2010 markiert – stellt diesen experimentellen Ansatz auf den Kopf, indem es den Country-Sound bis auf die Knochen entblößt, um das heiße Blut und den strammen Muskel des Genres freizulegen.
„Ich rief Dave an und sagte: Jeder nimmt heutzutage die Abenteuerroute, die wir auf meinen ersten Alben gegangen sind, aber niemand macht Alben wie Hank Williams Jr.“, sagt Jennings. „Einfach klassischen, gut gelaunten Honky-Tonk. Ich will das machen. Ich will ein richtig gutes Country-Album machen. Ich will das beste Country-Album machen, das genau jetzt möglich ist. Er sagte: ‚Ich bin dabei. Komm nach Nashville und lass uns dieses Album aufnehmen.’“
Tatsächlich hatte Jennings gerade ein komplexes Konzeptalbum aufgenommen – bisher unveröffentlicht –, das sich mit dem Tod und den scheinbar abrupten Veränderungen in der Welt über die letzten paar Jahre auseinandersetzte, und war im Begriff, sich für die Co-Produktion von Brandi Carliles von der Kritik gefeiertem Studioalbum „By the Way, I Forgive You“ (2018) mit Cobb wiederzuvereinigen. Obschon in Nashville aufgewachsen, hatte Jennings die vergangenen beiden Jahrzehnte in Los Angeles gelebt und räumt ein, wenig für das Hipster-Getöse rund um die „Music City“ Nashville dieser Tage übrig zu haben. Er zog es daher vor, bei einem guten Freund aus Kindheitstagen in Springfield, Tennessee rund dreißig Minuten von der Music Row entfernt unterzukommen.
„Meinem Gefühl nach war ich immer noch in L.A.“, sagt Jennings dazu. „Ich war nur in Nashville, weil Dave ein guter Freund ist und wir wirklich gut zusammen funktionieren. Ich hatte kein Interesse daran, für dieses Album einen ‚Nashville state of mind’ einzunehmen. Das Label wollte mich in einem Hotel unterbringen, doch ich sagte: Nein, ich komme bei einem Freund und seiner Frau unter. Und weißt du was, es war das richtige Szenario, um dieses Album zu machen. Ich ging alles derartig konzentriert an. Es ließ mich wirklich im Einklang mit mir selbst sein.“
„SHOOTER“ meldet seine Ansprüche vom ersten Moment des Albums an, beginnend mit dem Brass-getränken Boogie-Woogie „Bound Ta Git Down“ (obwohl zugegebenermaßen nur wenige Country-Alben mit einem hochenergetischen Honky-Tonk-Song starten, die Referenzen zu Gras, Guns n’ Roses und Jennings’ gutem Freund Marilyn Manson ziehen). Jennings’ hart erkämpfte Klarheit und resolute Ehrlichkeit ziehen sich durch das gesamte Album, auf Songs wie dem zärtlichen „Love In A Minor Key“ – das er ursprünglich für die George Jones Tribut-LP „Don’t Waint Up (For George)“ (2014) aufnahm – und „Rhinestone Eyes“, ein tiefempfundener Lobgesang auf seine Ehefrau Misty. Zusätzlich zu dem „Haufen Songs“, die er zu Hause geschrieben hatte, bevor er sich auf den Weg nach Nashville machte, wurde ein Großteil von „SHOOTER“, darunter Highlights wie „Denim & Diamonds” und die Texas-Hymne „Do You Love Texas?”, von Jennings und Cobb „aus dem Stand“ im Studio geschrieben.
„Wenn wir ins Studio gehen und gemeinsam kreativ werden, ist da immer noch dieses Gefühl von Euphorie und Aufregung“, sagt Jennings. „Musik zu machen, über die ich dann die Texte schreibe. Einfach diese wirklich ehrlichen Momente von Kreativität.“
Daneben enthält „SHOOTER“ Songs, die mit einer Reihe anderer Kreativpartner geschrieben wurden. Das rauflustige, mitreißende „D.R.U.N.K.“ entstand gemeinsam mit dem Songwriter Aaron Ratiere aus Nashville, das erste Mal, dass Jennings Erfolg mit einem klassischen Co-Write dieser Art hatte, wie er sagt. An anderer Stelle findet sich „Fast Horses & Good Hideouts“, für das Jennings und Cobb mit dem bilderstürmerischen Charakterdarsteller Randy Quaid zusammenfanden.
„Wir hatten seit einer Weile miteinander korrespondiert“, kommentiert Jennings. „Ich versuchte, ihn und seine Frau in meine Radiosendung zu bekommen, doch daraus wurde nie etwas. Dann fragte ich ihn bezüglich eines der YouTube-Videos von ihm, in dem er die Bibel liest, ich wollte es in der Weihnachts-Sendung spielen. Er schrieb zurück und sagte, damit würde ich ihm einen lebenslangen Traum erfüllen, das Evangelium im Radio zu lesen, und unterschrieb es mit ‚Here’s to fast horses and good hideouts’. Ich dachte bei mir: Fuck, das würde einen großartigen Song ergeben! Also machte ich mich daran und schrieb ihn.“
Im Juni 2017 hatten Jennings und Cobb ein exzellentes Line-up von Freunden und Session-Legenden beisammen, die ihnen im Studio Gesellschaft leisteten, darunter Drummer Chris Powell (Jamey Johnson, Sturgill Simpson), Bassist Brian Allen (Rich Robinson, Robben Ford), Trompeter Ben Clark & Saxophonist Nate Heffron (Anderson East, Spock’s Beard), den legendären Steel-Gitarrenspieler Fred Newell (Waylon Jennings, Willie Nelson), die Background-Sängerinnen Bekka Bramlett & Kristen Rogers sowie an der Lead-Gitarre Leroy Powell, Mitglied von Jennings’ vormaliger Backing-Combo The .357s.
„Leroy und ich hatten uns vor Jahren mal überworfen“, sagt Jennings, „aber wir flickten die ganze Sache sehr schnell wieder. Wir waren damals alle jung und verloren. Dass er vorbeikam und auf diesem Album spielte, bedeutete mir also eine Menge.“
Als wäre diese unglaubliche Besetzung nicht bereits genug, hält „SHOOTER“ außerdem ein Aufgebot an Special Guests bereit, die die musikalische Frage „Do You Love Texas?“ mit einem unmissverständlichen „Hell yeah!“ beantworten, darunter Ray Benson, Jason Boland, Kris Kristofferson, Kacey Musgraves, Whiskey Myers und Randy Rogers.
„Wir mischten das Album ab, als Harvey hier vorbeischaute“, erinnert sich Jennings. „Dave hatte die Idee, den Song vorab zu veröffentlichen, um Geld für den Rebuild Texas Fund zu sammeln. Dann dachten wir, wie können wir noch mehr Geld zusammentragen, daher fragten Dave und ich eine Handvoll unserer Freunde, ob sie uns ein ‚Hell yeah’ geben könnten, und der Rest ergab sich sehr schnell. Das Wunder namens Internet machte es möglich, dass die ganze Sache innerhalb eines Tages im Kasten war.“
Mit seinem enzyklopädischen musikgeschichtlichen Wissen ist sich Jennings sehr wohl bewusst, dass eine selbstbetitelte LP eigentlich nur zwei Dinge bedeuten kann: entweder das Album ist außerordentlich persönlich oder dem Künstler sind die Ideen ausgegangen. Müßig zu erwähnen, dass Shooter nicht der Habe-keine-Ideen-mehr-Typ ist. Die Kraft und Leidenschaft, die durch jede Note von „SHOOTER“ klingen, geben eine mehr als deutliche Antwort.
„Es ist ein sehr ehrliches Album“, sagt Jennings. „Es gibt keine magischen Tricks. Es sind wirklich Sachen, die aus meinem Herzen kommen. Es umfasst viele der Stile, die sich durch meine anderen Alben gezogen haben. Dave sagte: ‚Können wir es nicht einfach SHOOTER nennen?’ Ich sagte: I love it. Lass es uns einfach SHOOTER nennen.“
Mai 2018