Beats in der Blutbahn: Mit "Arterien" starten TEMMIS nach mehrmonatiger Pause wieder durch
Es ist das erste musikalische Lebenszeichen von TEMMIS seit November 2022: „Arterien“, der neue Song der Tübinger Band, erzählt vom Ausbruch aus dem Wahnsinn der Normalen. Clubtauglich und cool.
© Marvin Schmidt
Sind TEMMIS noch ein Geheimtipp oder längst das nächste große Ding? Kommt vermutlich auf die Perspektive an. Fakt ist: die Band selbst ist sowieso mit wichtigeren Angelegenheiten beschäftigt. "Warum zittern meine Hände? Warum bin ich noch immer wach? Warum ist immer in der Nacht in meinen Ohren so viel Krach?", fragt sich Sänger Roman in "Arterien", dem ersten musikalischen Lebenszeichen der Band seit November 2022.
Damals sorgte die vierteilige EP "Klinge", produziert von Max Rieger und generös beklatscht von den Szenemedien, für Wirbel im deutschsprachigen Indiepop-Untergrund. Wer den Begriff 'Neue Neue Deutsche Welle' benutzte, musste spätestens jetzt auch TEMMIS kennen und nennen. Hätte es die Band forciert und zügig die nächste Ladung Singles nachgelegt, liefe sie heute, im Sommer 2023, vermutlich längst im Radio. Die Band ist einen anderen Weg gegangen: Sie ließen "Klinge" großzügig atmen, widmeten sich — TEMMIS verstehen sich schließlich sowieso in erster Linie als Liveband — dem Bühnengeschäft und gaben sich voller Inbrunst der Nacht hin. "Arterien" erzählt vom Ausbruch aus dem Wahnsinn der Normalen; von der Flucht vor grauer Realität in nächtliches Tiefschwarz; von der Sehnsucht nach und der gleichzeitigen Angst vor ultimativem Exzess.
Der Song strahlt behagliches Hochgefühl, frostige Bestimmtheit und helle Verzweiflung zugleich aus, lebt von abgründiger Euphorie in ikonischer Sprache — "nimm’ meine Hand und wirf’ dein Leben hin". Die in derartigen Sätzen schlummernde Schizophrenie spiegelt sich auch im Sound: "Arterien" klingt so sanftmütig wie brutal, so abstrahiert und harmonisch wie füllig und überladen, so technoid und Club-tauglich wie destruktiv, ja, nihilistisch. TEMMIS entfalten zwischen uniformen Drums, entrückten Gitarren, avantgardistischem Schallfaktor und flächig-traumversunkenem Gesang ihre bestmögliche Dynamik. Wer genau hinhört, kann im Wust aus Dark-Wave, Indierock, Electroclash und Post-Punk popkulturelle Spielarten aus sämtlichen Jahrzehnten finden, die auf die Erfindung des Synthesizers folgte