"Sorry I Haven’t Called", sagt Vagabon, die dafür ihre Gründe hatte – und nun ein neues Album ankündigt
Der Tod ihres besten Freundes brachte am Ende ihr bisher ausgelassenstes Album hervor. Unten gibt es das Video zur Lead-Single "Can I Talk My Shit?".
Lætitia Tamko, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Vagabon, hat für den 15. September ihr drittes Studioalbum angekündigt. „Sorry I Haven’t Called“ heißt es, wurde co-produziert von Tamko and Rostam (Vampire Weekend, Haim, Clairo) und erscheint über Nonesuch Records. Einmal mehr erfindet sich die New Yorker Künstlerin neu und noch nie hatte sie dabei so viel Spaß: „Sorry I Haven’t Called“ ist die bisher ausgelassenste und abenteuerlustigste Musik in ihrer Karriere. Eine Ahnung davon erhält man bereits durch den heute erscheinenden Lead-Track „Can I Talk My Shit?” und das begleitende Video. Hier gibt es den Clip zu sehen, bei dem Zac Dov Wiesel Regie führte.
„Ich wollte mal eine Pause von der Introspektion machen“, sagt Tamko über ihr neues Album „Sorry I Haven’t Called“, „und einfach ein wenig Spaß haben.“ Tatsächlich kannte man Vagabon bisher für Alben wie das intime Debüt „Infinite Worlds“ (2017) oder die ausladenden, bedeutungsschwangeren elektronischen Texturen des 2019 veröffentlichten, selbstbetitelten Albums, das Vagabons Bekanntheitsgrad schlagartig nach oben schnellen ließ. Damit verglichen, fühlt sich die neue LP wie der Start in eine ganz neue Ära für Tamko an. Über den Verlauf von 12 dynamischen Tracks – die sie im Übrigen mehrheitlich in Deutschland schrieb und produzierte – verarbeitet sie Dance Music und Pop zu einem ganz eigenen, sprudelnden Sound. Es sind unbefangene Songs voller Leben; der Ausdruck einer Künstlerin, die ihre Vision voll und ganz auslebt und sich ihre Lust am Leben zurückholt.
Und die beginnt gleich ab Zeile eins des ersten Songs auf dem Album: „Can I talk my shit? / I got way too high for this", stimmt uns Tamko auf das ein, was nun folgen wird. „Ich spreche auf dem gesamten Album einfach so, wie ich mit meinen Freund:innen oder in einer Beziehung sprechen würde“, sagt sie dazu. „Ehrlichkeit und Songwriting im Stil einer Unterhaltung – das kann in der Summe Poesie ergeben. Es liegt eine Schönheit darin, in einfachen Worten zu sprechen – ohne Metaphern und blumige Symbolik.“
Die Geschichte von „Sorry I Haven't Called“ begann bei Weitem nicht so fröhlich, wie das Album am Ende wurde – mit der Trauer über den Tod ihres besten Freundes. Der schreckliche und zudem komplett überraschende Verlust im Jahr 2021 warf Tamko zunächst aus der Bahn, doch er führte auch dazu, dass sie zu einer neuen Klarheit fand: „Die Dinge, von denen ich dachte, dass sie mir wichtig sind, verloren ihre Bedeutung für mich", sagt sie. „Mir wurde klar: Ich muss darauf achten, dass ich alles auch wirklich fühle, was meines Weges kommt“. Eine Erkenntnis mit Folgen: Tamko beschloss, ihr Hab und Gut zu verkaufen und New York gegen ein kleines Dorf am See ein paar Stunden nördlich von Hamburg einzutauschen, um das Erlebte zu verarbeiten. „Es gibt nicht den einen richtigen Weg des Trauerns. Jeder geht damit anders um, doch für mich fühlte es sich richtig an, mein Leben einmal komplett zu entwurzeln“, berichtet sie. „Ich brauchte einen Ort, um in Ruhe nachzudenken und meine Schmerzen zu verarbeiten. Und zugleich das Gefühl von Neuanfang zu erkunden, das ich in meinem Leben verspürte und mir einen ganz neuen Vorwärtsdrang verlieh.“ Die Bedingungen dafür waren in dem Dorf geradezu ideal, denn weder hatte sie Netz auf ihrem Telefon noch gab es Lebensmittelgeschäfte oder Restaurants. Tamko konnte also in aller Ruhe diese neuen Gefühle in sich erspüren und in Musik überführen.
Obwohl da diese Abwesenheit in ihrem Leben war, eine Leerstelle, die sie täglich spürte, nahmen ihre neuen Songs ein Eigenleben an, das all dem komplett entgegengesetzt schien: sie waren entwaffnend und sprudelten geradezu vor Energie. Der erste Song aus dieser neuen Kreativphase war die Anfang 2023 veröffentlichte Single „Carpenter“, ein hypnotisierender Track mit einem Bass-Groove, den man förmlich mit Händen greifen kann. „I wasn't ready to move on out / but I'm more ready now“, singt Vagabon, die sich damit natürlich auf die jüngsten Geschehnisse in ihrem Leben bezieht. Genauso gut könnte man aber sagen: musikalisch ist Vagabon mehr denn je „ready to move on out“, denn „Carpenter“ ist ihr bisher vollkommenster Song und fühlt sich an wie die Summe ihres bisherigen Katalogs. „Ein Großteil der Musik, die dort entstand, spielte sich komplett losgelöst von meiner Trauer ab“, erklärt Vagabon die oberflächliche Diskrepanz. „Als ich mir erst einmal selbst zugestanden hatte, ein Album voller Leben und Energie zu machen, wurde mir klar: Genau darum geht es bei diesem Album! Während ich gerade all diese harten Dinge durchmachte, konnte genau deshalb daraus ein Album werden, weil die Songs diese unbändige Lebendigkeit in sich trugen.“ Die Suche nach Lebensglück, stellte Tamko fest, setzte ungeahnte Kräfte frei.
Neben dem abgelegenen Dorf nördlich von Hamburg gab es einen weiteren prägenden Einfluss auf die neuen Songs: Tamkos Liebe zur Dance Music. In der Zeit des Songwritings war sie ein wichtiges Ventil, wie sie berichtet: „Die einzigen Dinge, die mir Zugang zu einem Gefühl verschafften, waren Dance Music und der Besuch eines Raves in einem extrem dunklen Club. Dort konnte ich weinen, wenn mir danach war, und war zugleich von anderen Menschen umgeben.“
Nach einigen Monaten in Deutschland – die neben einem Songwriting-Marathon außerdem eine stürmische Romanze bereithielten –, beschloss Tamko, zu Freund:innen in Los Angeles überzusiedeln und ihr Album fertigzustellen. Um ihrer Vision den letzten Schliff zu geben, holte sich zu dem Rostam als Co-Produzenten mit ins Boot.
„Sorry I Haven't Called“ ist ein Album voller Wärme und Widerstandskraft, das davon handelt, die ekstatischen Momente des Lebens zuzulassen, wo immer man kann – in der Liebe wie in der Trauer gleichermaßen. Es ist ein Album, das sowohl aus gemeinsam erlebten Dancefloor-Offenbarungen als auch dem Gefühl tiefen Friedens in einsamen Momenten geboren wurde. In diesem Sinne ist „Sorry I Haven’t Called“ sowohl emotional als auch künstlerisch eine Neugeburt. „Es fühlt sich an, als hätte ich auf dieses Album hingearbeitet“, sagt Lætitia Tamko. „Wenn ich an dieses Album denke, denke ich an etwas Spielerisches. Es ist komplett euphorisch. Und es konnte nur so voller Leben und Energie werden, weil die Dinge sich so düster anfühlten. Es ist nicht Ausdruck dessen, was ich damals erlebt habe, sondern eine Reaktion darauf.“
Im Herbst wird Vagabon eine Headlinertour in den USA gespielt, gefolgt von Support-Shows für Weyes Blood in Europa. Auch Deutschland steht mit einem Termin in Berlin auf dem Programm (06.11., Astra Kulturhaus).
"Sorry I Haven't Called" Tracklisting:
01. Can I Talk My Shit?
02. Carpenter
03. You Know How
04. Lexicon
05. Passing Me By
06. Autobahn
07. Nothing To Lose
08. It’s a Crisis
09. Do Your Worst
10. Interlude
11. Made Out With Your Best Friend
12. Anti-Fuck