Isfar Sarabski
Stellen wir uns den Einstieg in Isfar Sarabskis Debütalbum „Planet“ szenisch, wie einen begeisternd-dramaturgisch ausgeloteten Konzertabend vor. Genügend Lorbeeren hat sich der 31 Jahre junge Pianist, Komponist und Arrangeur ja in der letzten Dekade live erarbeitet, um Theatersäle von beträchtlichen Größen zwischen seiner aserbaidschanischen Heimatstadt Baku, Berlin, New York und Los Angeles mühelos füllen zu können. Das Saallicht erlischt, ein...
Stellen wir uns den Einstieg in Isfar Sarabskis Debütalbum „Planet“ szenisch, wie einen begeisternd-dramaturgisch ausgeloteten Konzertabend vor. Genügend Lorbeeren hat sich der 31 Jahre junge Pianist, Komponist und Arrangeur ja in der letzten Dekade live erarbeitet, um Theatersäle von beträchtlichen Größen zwischen seiner aserbaidschanischen Heimatstadt Baku, Berlin, New York und Los Angeles mühelos füllen zu können. Das Saallicht erlischt, ein Spot illuminiert den Flügel, an dem Sarabski zunächst mit meditativer Grundierung am Bühnenrand ins Geschehen führt. „Deja Vu“ hat er den Einstieg genannt, aber die Erinnerungstäuschung hält nicht lange an. 40 Sekunden später pausiert er für einen Augenblick, bevor er ein höchst anspruchsvolles Puls-Motiv anstimmt. Der Vorhang öffnet sich und gibt den Blick frei auf seine beiden Trio-Kollegen Mark Guiliana am Schlagzeug und Alan Hampton am Kontrabass. Die drei swingen dergestalt erbaulich, dass die Füße unmöglich stillhalten können. Just im Moment des emotionalen und kognitiven Begreifens dieser Musik, fällt blitzschnell ein weiterer Vorhang und lässt nicht nur einen Satz Streicher erblicken, der das rhythmische und harmonische Treiben herzerwärmend mehrdimensioniert. Auch das Wahrnehmungspanorama wird erneut schlagartig so erweitert, dass plötzlich alles möglich erscheint. Hier sind ganz offensichtlich drei Musikfreiheitsliebende am Werk, die von Streichinstrumenten unterstützt, einer Art kammermusikalischem Jazz zuspielen. Dessen komplexe Metrik dient allerdings keineswegs einem intellektuellen Kräftemessen-Selbstzweck.
Dass diese Musik der Imagination so vortrefflich Vorschub leistet, um sie sich mühelos im konzertanten Rahmen vorstellen zu können, obwohl man „nur“ einer Studioaufnahme lauscht, spricht für ihre immense Vitalität. Deren Quelle ist Isfar Sarabski selbst, wie seine Vita anschaulich verdeutlicht. Während seines Stipendiums am Berklee College of Music in Boston, beeindruckte er Kommilitonen und Lehrer gleichermaßen mit seinem neugierig-aufgeschlossenen Mäandern zwischen Jazz-Impressionismus, Folklore-Tradition seiner Heimat und dem Erforschen von elektronischen Klangwelten. Die Fährte, der Sarabski seit über zwei Dekaden folgt, wurde in seiner Kindheit gelegt. Seine Mutter ist Geigen-Lehrerin, sein Vater ein großer Musikkenner, der neben Jazz, Rock, Soul und Funk, auch Bach, Brahms und Beethoven schätzt. Und sein Urgroßvater Huseyngulu Sarabski wurde im Orient als Musikpionier, Opernsänger, Musiker, Schauspieler und Bühnenautor verehrt. Musik ist fraglos ein wichtiger Bestandteil in Isfar Sarabskis Genen. „Die Vinyl-Platten meines Vaters waren buchstäblich mein Spielzeug“, erinnert er sich. „Ich war fasziniert von der Mechanik des Plattenspielers, von den großen schwarzen Scheiben, und natürlich von der Welt der Töne, Harmonien und Rhythmen, die sich darin offenbarten. Ich erinnere mich genau an die Gefühle, die mein erstes Wahrnehmen von Dizzy Gillespie-Platten, oder auch von Einspielungen der Werke Bachs und Chopins bei mir auslösten. Wie konnte es sein, dass Musik Bilder in meinem Kopf entstehen lassen konnte? Ich musste es herausfinden.“
Gedacht, getan. Den ersten pianistischen Gehversuchen mit vier Jahren an einem einfachen Casio-Keyboard, folgte das eigene Piano, die Aufnahme in eine Musikschule in Baku, das Lernen der traditionellen Mugam-Improvisationssprache seines Landes, und das Entdecken der Katalogalben von Herbie Hancock, Miles Davis und Bill Evans. 1989 geboren, im Jahr des Falls der Berliner Mauer, war es für Sarabski gar nicht leicht, an die Platten der amerikanischen Jazz-Größen zu kommen, die sich nicht in der elterlichen Plattensammlung befanden. Das langsame Öffnen der ehemaligen Sowjetunion bedeutete letztendlich aber größere Zugänglichkeit westlicher Musik in Aserbaidschan. Mitte der ersten Dekade dieses Jahrhunderts hatte Isfars seine eigene musikalische Sprache gefunden. Orientalische Skalen harmonieren darin mit Mugam, druckvoller Rhythmik und einem satten Fundament von Jazz- und Klassik-Akkorden.
Die unmittelbare Aufrichtigkeit seiner Musik und ihr sinnträchtiger, emotionaler Gehalt, treffen auf elegante, intellektuelle Wonnen, die gleichzeitig den Geist stimulieren und das Herz bereichern. In der Ballade „Limping Stranger“ hat Sarabski nach tief harmonischem Kontrabass-Monolog von Hampton einen Solo-Spot, der sein improvisatorisches Vermögen in aller filmischen, immer vom brennenden Drang nach dem Melodischen geprägten Ganzheitlichkeit perfekt beleuchtet. „Swan Lake“, die einzige Fremdkomposition auf „Planet“, bringt Tschaikowskis Ballettmusik mit radikal neuem Arrangement dem Istzustand des Jazz näher. „Ich bin großer Klassik-Fan und besuche seit meiner Kindheit Theateraufführungen, Opern, Orchesterkonzerte. Klassische Musik ist in meinen Augen das Fundament für alle anderen Musikformen“, kommentiert Sarabski. „Die Idee für das Arrangement des Fragments aus ‚Schwanensee‘ ist die logische Folge meiner fortwährenden Suche nach den Parallelen zwischen Moderner und Klassischer Musik.“ In der Solo-Piano-Passage des zweigeteilten Titelstücks „Planet“ vertieft er dieses Ansinnen so geschickt als ob er klammheimlich Jazz im Stil Rachmaninows spielen wollen würde. Freiheitliche Momentaufnahme trifft darin auf verborgen liegende, im ersten Höreindruck gar nicht direkt präsente Kadenzen-Übungen. „Das Album trägt den Namen ‚Planet‘, weil es meine Gefühle und Ansichten zu unserem Planeten zusammenfasst“, erklärt Isfar. „Die Menschen, die Geschehnisse in den letzten Jahren, die uns alle betrafen, und die neuen Situationen, mit denen wir klarkommen müssen, reflektiere ich in den Kompositionen mit dem Wunsch, darüber in den Dialog zu treten mit meinen Zuhörern.“
Vielleicht gewinnt man deswegen im Verlauf des Albums zunehmend den Eindruck, gleichsam sowohl Kompositionen wie auch wortlosen Songs zu lauschen. Sarabskis Stücke folgen einerseits logischer Korrektheit in ihren architektonischen Aufbauten. Andererseits setzt er ihnen melodische Krönchen auf, die sangbar sind. Dieses Kunststück geht soweit, dass man sich darin üben möchte, nur noch ein bisschen genauer hinzuhören, um ungeschriebene Wörter in den Melodienführungen lesen zu können. Im verhältnismäßig epischen „The Edge“ erzählt das traditionell-aserbaidschanische Saiteninstrument Tar eine beinahe mystische Geschichte über die Kultur des Heimatlandes Sarabskis. Das geradezu fröhlich-funkige „G-Man“ will Isfar im gleichen Maße als Alternative Form des Dialogs zu modernen Kommunikationsmitteln verstanden wissen, wie das ganze Album, sagt er. „Für mich ist Musik Dialog, ein Dialog zwischen Seelen. Das Wachrufen tiefer, menschlicher Gefühle ist der wichtigste Grund dafür, warum ich Musik erschaffe. Meine bevorzugte Form des Dialogkonzepts ist die metrische und melodische Freiheit des Jazz. Die Jazz-Form ist äußerst hilfreich im Finden tiefsitzender, kleiner, aber wichtiger Details der Seele. Sie ist wie eine Art Code, der sich nicht immer zwangsläufig decodieren lässt, aber er ist in seiner Erscheinungsweise einzigartig. Deswegen wollte ich unbedingt mit ‚Planet‘, einem ausgewiesenen Jazz-Album, meinen Platteneinstand begehen.“