Kinga Glyk
„Ich kann nicht so gut singen, deswegen spiele ich Bass“, sagt Kinga Glyk. Das klingt, gemessen an dem Rummel, der seit gut zwei Jahren um sie gemacht wird, beinahe verdächtig bescheiden. Und doch drückt die Bassistin aus Polen mit diesem knapp formulierten Satz exakt aus, worum es auf ihrem neuen Album „Feelings“ geht. Mit einzigartiger Kunstfertigkeit und Lässigkeit, lässt sie...
„Ich kann nicht so gut singen, deswegen spiele ich Bass“, sagt Kinga Glyk. Das klingt, gemessen an dem Rummel, der seit gut zwei Jahren um sie gemacht wird, beinahe verdächtig bescheiden. Und doch drückt die Bassistin aus Polen mit diesem knapp formulierten Satz exakt aus, worum es auf ihrem neuen Album „Feelings“ geht. Mit einzigartiger Kunstfertigkeit und Lässigkeit, lässt sie ihren Bass Geschichten erzählen. Feinsinnig und durchdringend, nuancenreich und groove-stark zugleich, setzt sie Gefühle in Szene. Die stellen umgehend Verbindungen zu Kinga Glyks Zuhören her, lassen eigene Geschichten entstehen und spiegeln die Persönlichkeit der jungen Frau mit dem Riesentalent. Da ist ihr gelebter Mut, sich auszuprobieren, etwas Neues zu wagen - trotz aller Regeln glücklich zu werden. „Als Kind interessierte ich mich für den Bass, weil er mir eine ungewohnt kraftvolle Stimme gab, die ich damals nicht besaß“, reflektiert Kinga ihre Anfänge als Instrumentalistin. „Inzwischen sind seine Sounds längst zu meiner eigentlichen Sprache geworden, in der ich meine Empfindungen viel intensiver ausdrücken kann.“ Allerdings! Es geht in ihrem Bassspielen nicht ums Höher-Schneller-Weiter. Kinga Glyk spielt Musik nicht für Musiker, sondern für die vielen zehntausend Seelen, die sie im Laufe ihrer noch jungen Karriere mit ihrem Storytelling am Bass berührt hat. In ihren Geschichten offenbart sie ihre überaus humanistische, liebevolle und mitfühlende Weltsicht. Es menschelt, kurzum, in den zwölf Stücken ihres neuen Albums. Und das macht „Feelings“ besonders wertvoll.
Von ihrem bislang persönlichsten Werk ist die Rede, wenn Kinga Glyk die Arbeit an „Feelings“ reflektiert. Ein Blick auf die Autorenliste der neuen Tracks offenbart auch warum: sieben Stücke stammen ausschließlich aus ihrer Feder, zwei weitere schrieb sie zusammen mit ihrem Pianisten und Produzenten Pawel Tomaszewski. „Im Gegensatz zu meinem letzten Album ‚Dream‘, haben meine Band und ich nicht nur einfach im Studio drauflos improvisiert“, beschreibt Kinga die Entstehung von „Feelings“. „Bevor wir diesmal mit den Aufnahmen begannen, hatten ich meine Kompositionen detailreicher ausgearbeitet.“ Kopflastiger klingt Kinga Musik deswegen nicht. Ganz im Gegenteil, schafft sie gleich im Opener „Let's Play Some Funky Groove“ reichlich hormonelle Momente zum Warmmachen. Die Finger können kaum stillhalten, wollen im Takt mitschnipsen, wenn sie den Minneapolis-Sound heraufbeschwört, organisch deutet und mittendrin auf live gespielte Drum'n'Bass- Fährte führt. „Lennie's Pennies“, im Original von Lennie Tristano, wird in Kingas Deutung zum Groove- Monster, das ihr Trio in seiner Essenz zeigt: solistisch brillant, improvisatorisch erfrischend klischeefrei, und im Ensemblespiel überaus tight. Marcus Millers Keydboarder Brett Williams setzt den „Joy Joy“- Funk zusammen mit Kinga in Flammen, und macht jazzigem Rock'n'Roll in „Mercy“ (Duffy) Beine. Aus Montreal stammt der Keyboarder und selbsternannte „Dance Music Artist“ Anomalie, dessen „Superfreak“-Riff (James Rick) Kingas „5 Cookies“ hip formt.
In „What Is Life“, dem Kernstück von „Feelings“, fragt Kinga Glyk: „Who would man be without feelings? They let us experience so much, they teach us, sometimes bringing pain, sometimes joy. Emotions - without them, we would be empty. Words aren't always able to express our feelings... but music is.“ Ihrem Spoken Word-Intro lässt sie sodann die klanggewordene Variante ihrer zur Gewissheit gewordenen Erfahrung folgen. Ihre freiheitliche Jazz-Auffassung verbindet sie darin mit atemberaubenden narrativen Momenten, die abwechselnd auf R'n'B- und Folk-Fundamenten fußen. Am Ende der Reise durch Kingas neues Album „Feelings“ steht „Enu Maseti“, eine Ballade, die in Fantasiesprache noch einmal bündelt, was das neue Album ausmacht: große Emotionen stehen nicht im Widerspruch zur Improvisation, sie ermutigen sogar zur Freiheit. Zum Ausbruch aus Konventionen. In dieser Disziplin hat Kinga Glyk längst eine Vorbildfunktion eingenommen. Seit rund zwei Jahren zieht sie die Aufmerksamkeit von Fans, TV- und Radiomachern, YouTube-Usern, der schreibenden Zunft, und von Festival- und Club-Programmgestaltern gleichermaßen auf sich. Man steht buchstäblich Kopf, wenn sie die Stahlsaiten ihrer Bassgitarre zupft und anschlägt. Und das gar nicht mal so sehr, weil sie mit ihren solistischen Finessen als junge Frau in einem männerdominierten Instrumentalisten-Kreis mitmischt. Kinga Glyk ist gelebte Autonomie am Bass. Und „Feelings“ ist der vorläufige Höhepunkt ihres Schaffens.